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Selbst wenn die Sonne scheint, ist alles grau - Wissenswertes zur Depression

Die Depression ist eine stark zunehmende psychische Diagnose. Diese Erkrankung wird tabuisiert. Man spricht nicht darüber. Es ist eine Erkrankung, die katastrophale Auswirkungen haben kann. Neben einer schweren Niedergeschlagenheit, sozialem Rückzug, Antriebslosigkeit und ständiger Grübelneigung ist die schlimmste Auswirkung der Suizid. Nicht nur für die Erkrankten besteht ein ausgesprochen hoher Leidenszustand. Auch für Lebenspartner und Familienangehörige. Wenn sie es denn wissen. Denn die Depression wird häufig nicht erkannt oder verbirgt sich hinter der Strategie eines lebensbejahenden und gesunden Menschen – weil man an Depression eben nicht leidet.

Umso mehr ist es erforderlich, ein Bild zur aktuellen Forschung und zu neuen Erkenntnissen zu haben.
Prof. Carmine Pariante (Professor für biologische Psychiatrie) am King`s College, London, ist auf dem Weg, eine neue Behandlungsmethode zu erforschen (TV hr- „Depression – neue Hoffnung ?“, 26.07.2017).
Nach seinen Erkenntnissen kann Stress Auslöser für Entzündungsherde im Körper sein, die über Lymphkapillaren (feinste Verzweigung der Lymphgefäße) mit dem Gehirn kommunizieren und dort Einfluss auf die Aktivität der Botenstoffe (Serotonin, Dopamin und Noradrenalin) haben. Eine Störung der Aktivität der   beschriebenen Botenstoffe ist zumindest neurobiologisch eine der gesicherten Ursachen – von anderen - für das Bestehen einer Depression.

Die Erkenntnis, dass auch das Gehirn über einen eigenen Anschluss an das Lymphsystem verfügt, gibt es erst seit 2015. Ein neuer und letztendlich revolutionärer Ansatz ist daher, die Depression – und konkret -  Entzündungsherde mit speziellen Antibiotika – die außerdem geringe Einflüsse auf die Darmschleimhaut ausüben – zu bekämpfen. In klinischen Tests verzeichnen sich bereits Erfolge.

Zum besseren Verständnis mag die anthropologische Sichtweise herhalten. Unsere hominoiden Vorfahren waren ständig Stresssituationen ausgesetzt. Dauerhaft wurde die Umgebung auf Gefahren gescannt. Adrenalin wurde ausgeschüttet, die Kampf- und Abwehrbereitschaft gestärkt, die Muskeln angespannt. Unser Vorfahre in der afrikanischen Savanne hatte nur 2 Reaktionsmöglichkeiten - kämpfen oder flüchten.
Der moderne Mensch hat dieses Verhalten modifiziert übernommen und schaltet bei Dauerstress in den Krankheitsmodus. Eine bei Dauerstress bestehende hohe Adrenalinausschüttung ist für das Herausbilden von Entzündungsherden verantwortlich. Das ist heute bekannt. Über den lymphatischen Highway gehen diese Informationen an das Gehirn. Soweit eine psychische Resilienz nicht besteht, kann sich dann eine Depression herausbilden. 

Die Überschrift zu diesem Artikel habe ich mir nicht ausgedacht. Eine Klientin von mir leidet an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Typus Borderline. Nach einer Phase relativer Stabilität nahm sie die Behandlung wieder auf. Die Klientin war schwer depressiv und hatte akute Suizid-Phantasien. Ich forderte sie auf, ihren Zustand konkret zu beschreiben: „Selbst wenn die Sonne scheint, ist alles grau“ sagte sie weinend und völlig verzweifelt.

Die Erkenntnisse des Prof. Carmine Pariante bilden kein Alleinstellungsmerkmal. Im Rahmen des „Forschungsnetzes zu psychischen Erkrankungen“, das vom Bundesministerium für Forschung gefördert wird, überprüfen Mediziner der Berliner Charité in einer klinischen Studie, ob sich ein bestimmtes Antibiotikum zur Behandlung von Depressionen eignet. Langfristiges Ziel ist es, das richtige Medikament für den einzelnen Patienten zu entwickeln. Es ist die Idee einer „personalisierten Psychiatrie“ – in etwa vergleichbar mit der „personalisierten Krebstherapie“, die es heute bereits gibt.  
    
Dies sind beschriebene Forschungsansätze. Es wird noch eine Weile dauern, bis der depressive Mensch davon profitiert. Daher lohnt es sich, sensibel einen Blick auf die heutige Medikation bei Depression zu richten.
 
Das Mittel der Wahl ist das Antidepressivum. Vermehrt werden Medikamente der Gruppe der sogenannten SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) verordnet. Es handelt sich dabei um eine relativ neue Generation der Antidepressiva. Diese Medikamentengruppe wird von der Pharmaindustrie massiv beworben, obwohl auch erhebliche Nebenwirkungen eine Rolle spielen.
Bei einer Verordnung der SSRI-Generation ist eine hohe ärztliche Überwachung erforderlich. Diese Medikamente müssen vorsichtig einschleichend genommen und vorsichtig ausschleichend abgesetzt werden.
Aber einem anderen Aspekt bekommt eine hohe Bedeutung zu: Bei diesen Medikamenten beginnt die antriebssteigernde Wirkung vor der Stimmungsaufhellung. Was bedeutet das ? Ein suizidgefährdeter Klient bringt sich um, weil die stimmungsaufhellende Wirkung noch nicht eingesetzt hat, die Motivation zu Handeln ist aber schon vorhanden. Untersuchungen in den USA bestätigen dieses Ergebnis. Nach wie vor ist ein Antidepressivum dieser Medikamentengruppe sehr umstritten.        
Für den verantwortlichen Psychotherapeuten (HeilPrG), der ja keine Medikamente verordnen darf, bedeutet dies, analog zu beraten und auf die Gefahren hinzuweisen.  

Im psychotherapeutischen Kontext bekommt die Achtsamkeitslehre bekanntermaßen einen immer größeren Stellenwert. Achtsamkeit gegenüber der Depression umarmt unseren Klienten.

 

 

Rainer Wieckhorst
Heilpraktiker für Psychotherapie mit Praxis in Reinbek,
Therapiepraxis Balance-Concept
Experte für Angst- und Panikstörungen, Kommunikationsexperte

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