Burnout-Syndrom
Patientin:
Susan, 40 Jahre
Anamnese
Ich begrüße eine Frau mittleren Alters. Sie ist selbständige Logopädin. Susan erzählt sprudelnd, viele Nachfragen sind nicht erforderlich. Bei der Schilderung von Belastungssituationen wirkt sie emotionslos und hat eine verhaltene Mimik. Wenn sie allerdings von ihrer Arbeit erzählt, strahlt sie. Susan wirkt sympathisch auf mich.
Susan hat eine schwere Lebensgeschichte und aktuell mit einigen unschönen Verwerfungen zu kämpfen: Susans Ehemann arbeitet in der Praxis mit. Gemeinsam haben sie eine 2,5-jährige Tochter. Sie hat eine 18-jährige Tochter aus erster Ehe, zu der gegenwärtig ein schlechter Kontakt besteht. Ihr Ehemann hat eine 16- und 24-jährige Tochter. Der Kontakt zu beiden ist gut.
Die Kindheit und Jugend von Susan war schwer, sie hatte viele Gewalt- und Alkoholerfahrungen der Eltern erlebt. Sie prügelten sich häufig. Als Susan 9 Jahre alt war, trennten sie sich. Ihr leiblicher Vater ist verstorben, zur Mutter besteht – wegen eines schweren Fehlverhaltens der Mutter - seit 5 Jahren kein Kontakt.
Susan hat 2 Schwestern. Ihre jüngere Schwester leidet- wie Susan auch - unter einer hypochondrischen Neigung. Die ältere Schwester war bereits wegen Burnout sowie Angst- und Panikstörungen in therapeutischer Behandlung. Susan war wegen einer Angst- und Panikstörung vor vielen Jahren in einer Therapie. Susan hat Angst vor Menschengruppen.
Im Verlaufe des anamnestischen Vorgespräches kristallisieren sich Problemstellungen heraus. Susan erzählt, dass sie immer wieder Erschöpfungszustände erlebte. Im Moment ist das genauso. Susan hält sich für eine Perfektionistin. Sie hat zu viel Arbeit, zu wenig Freizeit. Es bestehen Existenzängste. Sie empfindet sich als antriebslos, kann morgens schlecht hochkommen. Nur ein klar strukturierter Tag hilft, dass sie arbeiten kann. Sich aufraffen, um Sport zu treiben oder Freunde zu besuchen fällt schwer. Susan empfindet sich als depressiv: „Es ist ein Gefühl von Traurigkeit in mir.“ Ihr Ehemann hält Susan für unnahbar; sie selbst sagt, sie mag körperliche Nähe nicht. „Ich kann keine Gefühle transportieren, kann keinen umarmen“ Sie ist nur ihrer kleinen Tochter zugewandt (seit mehreren Jahren). Hinzu kommt ein schwerer Konflikt mit ihrer ältesten Tochter: Nach einem heftigen Verbalangriff der Tochter hatte Susan sie rausgeschmissen (Unterkunft bei der Schwägerin).
Verdachtsdiagnose
Burnout Syndrom (F 43.2) in Verbindung mit einer Angststörung
Therapie
1. Sitzung
Ich verankere bei Susan das Bild einer selbst erlebten Situation der Ruhe und Entspannung. Dieses Bild kann sie jederzeit abrufen, wenn sie es braucht. Gestern ist ihre Tochter wieder zu Hause eingezogen. Susan hatte sich gefreut, ihre Tochter in den Arm genommen. Sie haben viel geredet und jetzt auch Regeln für das weitere Zusammenleben vereinbart. Seit dem Vorgespräch ist Susan viel durch den Kopf gegangen. Eine wichtige Erinnerung drängte sich auf: Als Kind hatte sie immer Angst, mit dem Rücken offen zum Raum zu liegen. Seit einem bestimmten Ereignis liegt sie immer mit dem Rücken zur Wand. Das wird in der Therapie noch eine besondere Bedeutung bekommen. Ich spreche bewusst die Gestaltungskraft einer guten Kommunikation an und vermittle, dass unterschiedliche Standpunkte (Positionen) unterschiedliche Wahrnehmungen ergeben können. Ich plädiere für eine wertschätzende und transparente interfamiliäre Kommunikation.
2. Sitzung
Susan fühlt sich im Moment sehr wohl mit ihrer ältesten Tochter. Das hatte die Tochter selbst auch wahrge-nommen und erzählt, dass nach ihrer Meinung die Mutter ruhiger geworden sei. Beide reden mehr miteinander. Ich möchte ergründen, woher das Bild kommt, dass sie als Kind (ab einem bestimmten Zeitpunkt) immer mit dem Rücken zur Wand gelegen hatte. Susan hat ein vages Bild im Kopf, dass dann in einem leichten Trance-zustand deutlicher wird: Ihre betrunkenen Eltern streiten, die Tante ist da, ihr Onkel auch. Der Vater sagt: “Ich tu den Kindern was an“. Die Mutter: “Du lässt die Kinder in Ruhe“. Während dieser Situation liegt Susan im Bett mit dem Gesicht zur Wand und dreht sich um. So hat sie den Blick für Gefahren frei. Die Reaktion ist aus einer unmittelbar gefühlten Bedrohungssituation entstanden und hat sich verinnerlicht – immer den Blick für Gefahren frei haben. Seitdem liegt sie mit dem Rücken zur Wand.
3. Sitzung
Susan geht es gut, sie hat jetzt wieder Ziele. Sie verschafft sich Freiräume, z.B. künftig den Freitag frei zu haben. Beziehungstechnisch hat sich was verändert. Umarmungen und körperliche Nähe zu ihrem Mann werden häufiger. Die Sexualität hat sich verbessert. Um Situationen besser bewerten zu können und in eine qualifizierte Kommunikation einzutreten, nimmt Susan sich bewusst aus Positionen heraus und versucht von oben auf Situationen zu schauen. Ich bearbeite das Bild der streitenden Eltern. Das Bild wird mit einer speziellen Technik gelöscht.
4. Sitzung
Es ist mehr Herzlichkeit in der Beziehung zur Tochter, Susan fühlt sich wieder respektiert. Sie hat viel über das nicht vorhandene Verhältnis zur Mutter nachgedacht. Wut überwiegt. Zur Mutter hat sie keine Ziele. Wir bearbeiten das Bild eines heftigen Streits von Susan mit ihrer Tochter (im Alter von 13 Jahren). In einem Wutanfall zerbricht sie die Lieblings-CD ihrer Mutter. Das Bild wird gelöscht.
5. Sitzung
Susans Grübelneigung ist weniger stark. Sie nimmt ihren Mann häufiger in die Arme. Ihre Tochter entschuldigt sich, wenn sie sich schlecht verhält. Wir bearbeiten ein Bild ihrer betrunkenen Mutter: Sie sitzt über der Kloschüssel und übergibt sich. „Mama ist alles gut“ fragt Susan. „Alles gut, geh wieder zu Bett“ antwortet die Mutter. Das Bild wird gelöscht. Wir verankern ein Bild zum Selbstbewusstsein von Susan. Es ist die erfolgreiche Abschlussprüfung zur Logopädin. Die Dozentin sagt:“ Ich bin so überrascht von Dir“.
6. Sitzung
Susans Angst vor Menschengruppen sowie eine hypochondrische Neigung haben sich gebessert. Ebenso die Antriebstörung. Das Bild der alkoholkranken Mutter über der Kloschüssel ist verschwunden. Susan ist selbstbewusster geworden. Das haben auch Kolleginnen und Kollegen bemerkt. Über die positiven Rückmeldungen freut sich Susan. Sie berichtet von Belastungen im Haushalt, ungleichen Arbeitsaufteilungen und egoistischem Verhalten der Tochter und des Ehemannes. Sie hat das Thema bewusst angesprochen und wartet auf Lösungsangebote.
Wir bearbeiten ein Bild, als sie mit ihrer 8-Wochen alten Tochter (älteste Tochter) spazieren geht. Susan erleidet eine Panikattacke, ihr wird schwindelig, sie bekommt keine Luft. Das Bild wird gelöscht. Zum Abschluss der Therapie vermittle ich Susan, weiterhin auf ihre Kommunikation zu achten, konkret: Lösungen einfordern und gegenüber dem Ehemann kommunizieren, dass sie ihre Rolle als Partnerin und Geliebte nicht spürt.
Fazit
Susan geht es jetzt gut. Sie ist selbstbewusster geworden und profitiert von einem besseren Interaktionsverhalten. Sie nimmt sich bewusst mehr Zeit für sich. Das Besondere: Der Freitag ist nicht mehr frei – ein paar Stunden Arbeit am Freitag sind o.k.
Rainer Wieckhorst
Heilpraktiker für Psychotherapie mit Praxis in Reinbek
Therapiepraxis Balance-Concept
Experte für Angst- und Panikstörungen,
Kommunikationsexperte, Autor
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