Arbeitsintegration über Psychotherapie
Klient: Boris, 49 Jahre
Anamnese
Boris ist gelernter Wirtschaftsingenieur. Ein Burnout vor 15 Jahren hatte seine berufliche Entwicklung abrupt unterbrochen. Auslöser: Eine von ihm gestaltete Projektpräsentation wurde von der Chefsekretärin verändert und als sein Werk herausgegeben. Das hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. Nach 3 Monaten Krankheit erhält er den Auflösungsvertrag. Das führt über eine tiefe Depression direkt in Hartz IV. Nur gelegentliche Nebenjobs unterbrechen diesen Bezug. In dem danach folgenden Zeitraum von 15 Jahren ist der Klient immer wieder in ärztlicher Behandlung.
Konkret: 6-wöchige Therapie in der Tagesklinik sowie eine 6-wöchige stationäre Therapie. Eine vor 8 Jahren erfolgte berufliche Rehabilitationsmaßnahme bleibt wegen häufiger Fehlzeiten erfolglos. Eine jetzt von der Rentenversicherung finanzierte Maßnahme zur beruflichen Wiedereingliederung wurde von dem Träger (diakonische Institution) ebenfalls wegen hoher Fehlzeiten abgebrochen. Es gibt aber noch eine Option: Boris kann die Maßnahme weiter führen und abschließen, wenn er eine erfolgreiche Therapie nachweist.
Im Vorgespräch erklärt der Klient: „Ich möchte mein Leben jetzt gestalten“.
Boris kommt mit großer Traurigkeit, aber auch optimistisch in meine Praxis. Wenn er von der Vergangenheit erzählt, weint er häufig. Mein Klient lebt allein. Das war nicht immer so. Im Alter von 17 bis 23 hatte er seine wichtigste Beziehung, die aber von der Frau aufgegeben wurde. Ihre Eltern waren mit ihm nicht einverstanden. „Das spukt immer noch in meinem Kopf herum“, erzählt Boris; „die Trennung hat mich sehr getroffen“.
Er hat eine jüngere Schwester, die sich langsam der ganzen Familie entzieht. Sie verbietet ihm den Kontakt zu ihren Kindern, seinen Neffen. Das belastet Boris sehr, denn er hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihnen. Das Verhältnis zu seinen Eltern ist gut und auch gleichwertig. Sie haben ihm aber immer alles abgenommen und sind insoweit auch ein Stück weit für eine wenig ausgeprägte Selbständigkeit verantwortlich.
1982 (der Klient ist 13 Jahre) erkrankte sein Vater schwer an Tuberkulose, es hieß: „Er wird sterben“. Das belastete ihn schwer. 4 Jahre später zog die Familie wegen einer beruflichen Veränderung des Vaters von Kiel nach Hamburg. „Alles an Freunden war weg, das war ein Knacks“. 2008 erleidet Boris das erste mal eine Panikattacke. Er entwickelt Zwangshandlungen, er hat Probleme in Räumen mit mehr als 10 Menschen, öffentliche Verkehrsmittel meidet er. Für die psychischen Probleme hatte sein Vater nie Verständnis. „Du musst dich zusammen reißen“ war sein Kommentar. Erst nachdem er selbst vor 4 Jahren eine Panikattacke hatte, wächst das Verständnis.
Verdachtsdiagnose Therapieziele
- Agoraphobie mit Panikstörung - Bearbeitung belastender Bilder
- Dysthymia - Stärkung des Selbstbewusstseins
- Absetzen der Antidepressiva
Therapie
Die Therapie erfolgt mittels Gesprächstherapie und Therapie in Trance. Trancezustände ermöglichen den direkten Zugriff auf lange zurückliegende Ereignisse und entsprechende Bilder des Klienten.
Belastende Ereignisse können auf diese Weise mittels einer bestimmten Technik gelöscht, positive Ereignisse dauerhaft verankert werden.
1. Sitzung
Der Klient bekommt einen Ruheanker einer selbst ausgewählten Situation der Ruhe und Entspannung. Diesen kann er künftig in jeder Situation auslösen, wenn er unruhig wird. Ich selbst kann den Anker in therapeutischen Sitzungen auslösen, wenn Boris bei der Bearbeitung von Erlebnissen unruhig wird.
Ein belastendes Bild aus seiner Vergangenheit wird gelöscht: Er ist 13 Jahre und besucht seinen Vater in der Lungenklinik. Mit seiner Schwester steht er vor dem Krankenhaus. Der Vater winkt Ihnen vom Fenster der Isolierstation zu.
Boris berichtet von Zielen. Nächstes Wochenende wird die Wohnung aufgeräumt. Wir haben jetzt November. Im Januar möchte er die Maßnahme zur Wiedereingliederung bei der diakonischen Institution fort führen.
2. Sitzung
Boris geht es deutlich besser. Er geht öfter raus. Die Antriebsstörung ist besser geworden. Der Ruheanker funktioniert. Wir besprechen differenziert die therapeutischen Interventionen der nächsten Sitzung.
3. Sitzung
Ein positives Bild zu seiner ehemaligen Freundin wird verankert und vergrößert. Sie sitzen am Bahnhof und warten auf den Zug, der die Freundin nach Hause bringt. Das Aufräumen der Wohnung ist größtenteils erledigt. Es sieht schon gut aus. Boris vertraut mehr auf sich selbst.
4. Sitzung
Boris kommt mit seiner Freundin aus der Disco. Sie trägt eine graue Daunenjacke und einen orangenen Schal und sagt zu ihm: „Wir müssen uns mal eine Zeit lang nicht sehen“. Dieses Erlebnis wird gelöscht. Eine andere belastende Situstion: Sein Chef steht bei ihm im Büro und sagt: „Was hast du für einen Scheiß gemacht ?“
Dieses Bild wird ebenso gelöscht.
Es gibt neue Erkenntnisse. Nach Meinung seiner Eltern ist Boris kommunikativer geworden. Er war mit seinem Neffen im Theater und hatte keine Panikattacke. Momentan hält Boris sich nicht für depressiv, seine Grübelneigung ist gering.
Die Kommunikation zwischen der diakonischen Institution (Wiedereingliederung) und der Rentenversicherung ist ins Stocken geraten und läuft nicht gut. Ich lasse mich mit entsprechenden Vollmachten ausstatten und vermittle zwischen dem Träger der Wiedereingliederung und der Rentenversicherung. Gegenüber dem Träger der Wiedereingliederungsmaßnahme gebe ich eine psychotherapeutische Bewertung zu Boris ab.
5. Sitzung
Boris Grundhaltung ist positiv. Er nimmt nach Absprache mit dem Arzt keine Antidepressiva mehr. Die gelöschten und belastenden Bilder sind weg, die Grübelneigung ebenso. Bildlöschung einer Situation, die 13 Jahre zurück liegt: Der Klient sitzt im Wohnzimmer seiner Eltern. Er ist psychisch angeschlagen. Sein Vater sagt: „Du musst dich mehr zusammenreißen“.
6. Sitzung (Therapieende)
Boris hat seine Tätigkeit in der diakonischen Institution wieder aufgenommen. Er ist motiviert. Den Ruheanker nutzt Boris regelmäßig. Ich verankere bei ihm ein positives Bild aus einer früheren Arbeitssituation.
Fazit
Boris geht es gut. Er hat das Gefühl, dass er konstant und gefestigt ist. Mit seiner Arbeit und seinem Arbeitsumfeld fühlt er sich wohl.
Dieser Fall wirft unmittelbar die Frage auf, wie weit das Engagement eines nichtärztlichen Psychotherapeuten gehen sollte. Im Bewusstsein eines jeden Behandlers ist sicherlich, dass psychische Belastungen die Alltags- und Kommunikationskompetenz erheblich einschränken können. Es war hier aber ein leichtes Spiel, mit Vollmachten gegenüber den Verantwortlichen zu intervenieren und einer ganzheitlichen positiven Entwicklung die Richtung zu geben. Der Blick über den Tellerrand hinaus lohnt. Hilfreich war die hohe Motivation von Boris selbst. Er hatte sehr intensiv und verlässlich an sich gearbeitet. Seine Motivation und sein Veränderungswille waren hoch. Das hatte ihm sehr geholfen. Boris hatte zudem die große Bereitschaft, sich seiner Vergangenheit zu stellen und die belastenden Themen zu bearbeiten.
Rainer Wieckhorst
Heilpraktiker für Psychotherapie mit
Praxis in Reinbek
Therapiepraxis Balance-Concept
Kommunikationsexperte, Publizist